Namensgeberin des HMI – Lise Meitner
Zeichnung, Lise Meitner
Biographie Lise Meitner
Physikerin, geb. 7.11.1878 Wien, gest. 27.10.1968 Cambridge (England).
MEITNER war führend an der Erforschung der Radioaktivität, vor allem der alpha- und ß-Strahlung, beteiligt und leistete einen wesentlichen Beitrag zur Entdeckung der Kernspaltung durch O.HAHN und F. STRASSMANN.
Als drittes von acht Kindern eines angesehenen Wiener Advokaten wuchs MEITNER in einer politisch und künstlerisch aufgeschlossenen und anregenden Familienatmosphäre auf. Ihrem für ein Mädchen damals außergewöhnlichen Studienwunsch Physik wurde stattgegeben, und nachdem sie sich extern auf die Matura (Abitur) vorbereitet hatte – Mädchengymnasien gab es noch nicht –, bezog sie 1901 die Wiener Univ. Ihre Lehrer waren L, BOLTZMANN, F.S. Ex-NER u. a.
1906 promovierte sie über »Wärmeleitung in inhomogenen Körpern«. Danach wurde sie Assistentin bei ST. MEYER, der sie in das Gebiet der Radioaktivität einführte. 1907 ging MEITNER nach Berlin, um bei M. PLANCK ihr Wissen in theoretischer Physik zu vertiefen; 1912-1915 wirkte sie als dessen Assistentin, wofür sie ihr erstes geringes Gehalt bezog.
30jährige enge Zusammenarbeit zwischen MEITNER und HAHN
Im Herbst 1907 wurde MEITNER mit HAHN bekannt, und es begann eine 30jährige enge Zusammenarbeit. Sie durfte mit in der Holzwerkstatt arbeiten, die HAHN im Berliner Chemischen Institut von E. FISCHER für seine radioaktiven Experimente zugewiesen bekommen hatte. Das gesamte Institut durfte sie erst ab 1909 betreten, nachdem an Preußens Univ. auch Frauen offiziell zugelassen worden waren. 1912 wurde das Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) für Chemie in Berlin-Dahlem eröffnet, und HAHN wurde Leiter der kleinen Abteilung Radiochemie; MEITNER arbeitete dort als unbezahlter Gast. 1913 ernannte man sie zum wissenschaftlichen Mitgl. 1915-1917 war sie Röntgenschwester im ersten Weltkrieg. 1918 wurde sie Leiterin einer eigenen physikalisch-radioaktiven Abteilung und 1919 Prof.
Nachdem auch Frauen zum Hochschullehramt zugelassen worden waren, habilitierte sich MEITNER 1922 an der Berliner Univ. mit einer Arbeit über ß-Spektren und hielt seitdem Spezialvorlesungen zur Physik der Radioaktivität. 1926 wurde sie zum ao. Prof. ernannt.
Emigration nach Stockholm
Nach 1933 entließ man MEITNER aufgrund ihrer jüdischen Herkunft aus der Lehrtätigkeit. Als Österreich. Staatsbürgerin konnte sie jedoch bis zur Annexion Österreichs am KWI arbeiten. 1938 emigrierte sie nach Schweden und fand im Stockholmer Nobel-Institut für Physik eine neue Arbeitsstelle. 22 Jahre blieb sie in Stockholm (1947 Kgl. Technische Hochschule Stockholm, 1953 Kgl. Akademie der Ingenieurwissenschaften), bis sie 1960 in den Ruhestand trat und zu ihrem Neffen O. R. FRISCH nach Cambridge zog.
Erster Erfolg der gemeinsamen Arbeit von HAHN und MEITNER war 1909 die Entdeckung des radioaktiven Rückstoßes bei der a-Umwandlung und unter Anwendung dieser Rückstoßmethode die Entdeckung des Thorium-D (ThD, später als ThC" bezeichnet), eines ß-Strahlers. 1917/18 entdeckten sie das Protactinium (Element 91).
Hauptarbeitsgebiet Erforschung der ß-Spektren
Die Erforschung der ß-Spektren wurde in diesen Jahrzehnten Hauptarbeitsgebiet von MEITNER Sie bestätigte die - zunächst bestrittene - Eigenschaft der ß-Elektronen, ein kontinuierliches Energiespektrum aufzuweisen (1925); dies war eine Vorleistung für die Neutrinohypothese W. PAULIS (1930). MEITNER erbrachte außerdem den Nachweis, dass y-Strahlen erst nach erfolgter Kernumwandlung aus dem Folgekern emittiert werden, und konnte die Reihenfolge von ß-Zerfall und y-Emission bestimmen.
In den 30er Jahren wurde die Zusammenarbeit von HAHN und MEITNER wieder enger. E. FERMI hatte 1934 eine Theorie des ß-Zerfalls aufgestellt und gezeigt, dass durch Neutronen-bombardement Kernumwandlungen erreicht werden könnten. Da FERMI glaubte, auch das Element 91 erzeugt zu haben, begannen MEITNER und HAHN als Entdecker dieses Elementes entsprechende Untersuchungen. 1934-1938 publizierten sie, meist gemeinsam mit dem Chemiker STRASSMANN, Assistent bei HAHN, 15 Arbeiten über Fragen der künstlichen Umwandlung des Uraniums durch Neutronen. Ausgehend von FERMIS Hypothese, dass bei Neutronenbestrahlung stets Elemente mit höherer Ordnungszahl entstehen müssten, vermutete man als Umwandlungsprodukte Transurane.
Als HAHN und STRASSMANN Ende 1938 aus den experimentellen Befunden auf die Uraniumkernspaltung schließen mussten, teilten sie dies zuerst der inzwischen emigrierten MEITNER mit. In wenigen Tagen bestätigte sie in gemeinsamer Arbeit mit FRISCH aus physikalischer Sicht vermittels des Tröpfchenmodells von N. BOHR dieses Ergebnis, und beide berechneten gleichzeitig die Energiebilanz dieses Kernspaltungsprozesses. Anfang 1939 erschien ihr Artikel in der »Nature«.
Nach dem Kriege war MEITNER des öfteren auf Vortragsreisen im Ausland. In ihren letzten Lebensjahren trat sie auch aktiv für die friedliche Nutzung der Kernenergie ein.
Ehrungen
MEITNER trat stets bescheiden auf, aber konsequent und leidenschaftlich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit. Sie liebte Musik und Wandern. Von den zahlreichen Ehrungen seien Auswahlweise genannt die Mitgliedschaften in den Akademien von Berlin, Halle, Stockholm und Wien sowie die Leibniz-Medaille der Berliner Akademie (1924), die Max-Planck-Medaille der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (1949, BRD), der Otto-Hahn-Preis (1954, BRD), der Enrico-Fermi-Preis (1966, USA, zusammen mit HAHN und STRASSMANN).
Literatur
Meitner, L.: Der Zusammenhang zwischen ß- und Y-Strahlen, in: Ergebnisse der Exakten Naturwiss. 3 (1924), 160,
(mit M.Delbrück): Der Aufbau der Atomkerne (Berlin 1935),
(mit O. R. Frisch): Disintegration of Uranium by Neutrons; a new type of Nuclear Reaction, in: Nature (London) 143 (1939), 239, Wege und Irrwege der Kernenergie, in: Naturwiss. Rundsch. 16 (1963), 167.
Frisch, O. R.: Lise Meitner, in: Biographical Memoirs of Fellows of the Royal Society London, 16 (1970), 405-420 (mit sehr ausführlicher Bibliographie);
Herneck, F.: Über die Stellung von Lise Meitner und Otto Hahn in der Wissenschaftsgeschichte, in: Z. Chem. 20 (1980) 7, 237-243;
Kant, H.: Eine Physikerin auf dem Wege zur Entdeckung der Kernspaltung, in: Physik in der Schule 16 (1978) 10, 401-407;
Kerner, Ch.: Lise Meitner, Atomphysikerin (Weinheim 1986);
Krafft, F.: Lise Meitner und ihre Zeit, in: Angew. Chem. 90 (1978) 11, 876-892;
Stolz, W.: Otto Hahn - Lise Meitner (2. Aufl. Leipzig 1989).
Veröffentlichung des Textes im Internet mit freundlicher Genehmigung durch den Harri Deutsch Verlag aus dem Fachlexikon abc Forscher und Erfinder / [Hrsg.: Hans-Ludwig Wussing ...]. - Thun; Frankfurt am Main: Deutsch, 1992
ISBN 3-8171-1258-0
NE: Wussing, Hans [Hrsg.); Abc Forscher und Erfinder1. Auflage 1992
Verlag Harri Deutsch, Thun, Frankfurt am Main, 1992
Herausgeber: Wußing, Hans-Ludwig (Leiter des Reaktionskollegiums) Prof. Dr. rer. nat. habil. Dietrich, Hans Dr. phil. Purkert, Walter Prof. em. Dr. med. habil.